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Wer kontrolliert eigentlich meine Stimmung - und was mache ich dagegen?

Aus Charles Darwin's Buch: The Expretion of Emotions in Man and Animals, 1980

Wenn ich müde bin und arbeiten sollte, trinke ich einen Kaffee. Am Abend trinke ich einen entspannenden Tee mit Lavendel. Wenn ich eine Prüfung habe und nervös bin, gibt es Propolis-Tropfen. Bin ich schlecht gelaunt, hilft ein bisschen Schokolade… Klingt bekannt?

Wo kommen eigentlich unsere Stimmungen und damit verbundene Energielevel her?

Schwierige Frage. Wahrscheinlich sind sie einfach manchmal da und wir haben keine logische Erklärung dafür, auch wenn wir sehr oft Erklärungen dafür entwickeln. Diese kreieren wir aber zumeist erst nachdem diese Stimmung eingetreten ist. Ich bin schlecht gelaunt? Ich habe ja auch schon drei Stunden nichts mehr gegessen. Ich bin wütend? Kein Wunder bei dem Verkehr…

 

Als Menschen scheinen wir immer einen Grund zu suchen. Das ist sicher eine wichtige Eigenschaft in so manchem Belangen. Oft führt uns diese automatisierte Suche nach Zusammenhängen aber in die Irre. Wir sind darauf geeicht Muster in der Natur zu erkennen. Nur so ist es uns möglich ein Tier hinter dem Dickicht zu sehen oder eine Freundin zu erkennen, auch wenn sie sich die Haare abschneidet und einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Wir schaffen es so, in absolut zufälligen Ansammlungen an Objekten Muster zu erkenne. Beispiele dafür sind Bilder in Wolken oder Sternkonstellationen, die wir deuten.

Und auch unsere Emotionen und unser gesamtes Tun werden gedeutet. Wir haben kein intuitives Verständnis für Ursache-Wirkung, für Korrelation-Kausalität. Für uns gibt es oft keinen Unterschied zwischen Zusammenhang und Ursache. Was bedeutet, dass für unsere „Serotonin-Bombe“ Schokolade? Tja, da ist die Lage doch etwas verzwickter als die urbane Legende uns glauben lässt. Aber irgendwie hilft die Schokolade ja dann doch (siehe hier). Oder war das etwas Anderes?

 

Es kann gut sein, dass eine Emotion oder auch Stimmung einfach da ist. Sie existiert einfach und nimmt uns ein. Wahrscheinlich gibt es einen realen Grund, aber er ist einfach oft nicht so trivial wie wir uns das Vorstellen. Wir geben unserem Verhalten und unserer Stimmung erst Sinn, wenn sie schon da sind.

Imposante Beispiele für dieses Verhalten bieten die berühmten Split-Brain Patient*innen von Michael Gazzaniga und seinen Kollegen (ein Bericht dazu direkt vom Lead-Wissenschaftler hier).

 

Dieser zugesprochene Sinn oder Grund ist im Alltag häufig ein externer. Natürlich wäre es auf Dauer sehr anstrengend, wenn wir den Ursprung für unsere Stimmung, besonders für eine negative, in uns selbst suchen würden. Viel einfacher ist es, den Grund in der Außenwelt zu finden. Von Suchen kann eigentlich gar nicht die Rede sein. Gewöhnlich liegt er direkt vor unserer Nase: Die Chefin, die Kinder, die Wirtschaft, das Wetter, die Banken, der Partner… Ganz besonders kreativ und immer beliebt: Der Blutzuckerspiegel, Gott, die Hormone, das Gehirn...

Darum besonders kreativ, weil sie so abstrakt sind. Ich kann meine Hormone nicht sehen, ich weiß, dass sie da sind und mich bis zu einem gewissen Teil kotrollieren. Ja, es ist kein ganz fairer Vergleich, aber in einer Welt, in der immer weniger Menschen an einen Gott glauben, sind Hormone oder die Darmflora ein sehr einfacher Ausweg aus dem Dilemma. Selbst wenn ich an einen Schöpfergott glaube, kann ich noch diese Konzepte in mein Weltbild integrieren und endlich, endlich kommen wir weg vom (Schein-)Monotheismus und zurück zum Polytheismus oder anderen -ismen. Sehr praktisch!

Nun lassen sich diese Götter natürlich auch beschwichtigen. Hormone lassen sich nicht vollständig kontrollieren, aber wenn man dieses und jenes Produkt nimmt, dann kann man darauf hoffen, dass sie einem gut gesonnen sind. Wenn mein Blutzuckerspiegel fällt, sollte ich mich gut ernähren. Um das böse Cortisol zu bekämpfen, sollte ich morgens kalt duschen, und für Serotonin esse ich eben Schokolade.

 

Wie bereits angemerkt, ist das Finden von Sinn unserer linken Gehirnhälfte sicher im Großen und Ganzen eine sinnvolle Entwicklung der Natur. (Besser formuliert: sie ist nicht so schädlich, dass sie bis jetzt ausselektiert wurde und möglichweise ist sie sogar gut.) Trotzdem kann es sein, dass wir dieses Verhalten noch verstärken. Durch unsere Erziehung der Kinder können wir hier großen Einfluss haben. Kinder durchleben alle Emotionen oft in extremer Weise. Sie kennen die Grenzen ihrer Emotionen noch nicht und sie kennen die Auswirkungen ihres Verhaltens auf die äußere Welt noch nicht vollständig. Beides müssen sie erleben und kennen lernen. Nur so können sie in Zukunft einen guten Umgang damit haben. Schließlich müssen sie lernen ihre Emotionen und ihr Verhalten unter Kontrolle zu bringen, um in der Welt überleben zu können. Das ist ein harter Lernprozess. Sie müssen lernen ihre gesunde Wut soweit zu kontrollieren, dass sie nicht auf Geschwister einschlagen, sie müssen lernen ihre gesunde Freude in den Griff bekommen, um nicht zu waghalsige Spiele zu spielen oder durch das Geschrei die Erwachsenen zu verärgern.

 

Das Kontrollieren der Emotionen benötigt unglaublich viel Willenskraft – nicht nur für Kinder. Wer jedoch gut mit seinen Emotionen umgehen kann hat es in vielen Belangen im Leben leichter. Der Pop-Historiker Yuvel Noah Harari und viele vor und neben Ihm glauben sogar, dass dies einer der wichtigsten Fähigkeiten ist, die wir unseren Kindern lernen können.

Wie lassen wir unserer Kinder diese Superpower trainieren? Die Geschichte der Kindererziehung ist voller Ideen. Von Sokrates über Skinner und Watson, Rudolf Steiner bis Gerald Hütter, um ein paar der lautesten Stimmen zu nennen, haben sich damit beschäftigt. Wirklich gelöst haben wir die Frage natürlich nicht. Das Nachlesen der Ideen der jeweiligen Influencer hat jedenfalls Unterhaltungswert 😉.

 

Jeder von uns hat diese Erziehung in einer Form selbst erlebt oder praktiziert sie bewusst oder unbewusst:

„Sitz aufrecht.“ 

„Geschlagen wird in unserer Familie nicht.“

„Geh auf dein Zimmer, wenn du dich beruhigt hast, kannst du wiederkommen.“

„Du bekommst ein Stück Schokolade. Aber erst musst du die Suppe essen.“

 

 

Struwwelpeter, von Heinrich Hoffmann, 1844

 

In keinem Fall möchte ich einen der Ansätze auf seine Sinnhaftigkeit oder sogar Richtigkeit bewerten. Das liegt weit außerhalb meiner Kompetenzen. Es soll nur klargestellt werden, dass das immense Aufgaben für unserer Kinder sind! Ich wage sogar zu behaupten, dass die meisten Erwachsene keine so schwierigen Aufgaben in ihrem Alltag bewältigen müssen. Der Umgang mit den eigenen Emotionen ist vielleicht das schwierigste, das wir in unseren ersten Lebensjahrzehnten lernen müssen.

 

Es gibt aber auch eine andere Art mit Verhalten und Emotionen umzugehen. Die wenigsten geben ihren Kindern Kaffee oder starke Beruhigungsmittel. Moderne Eltern vermeiden jedes Medikament, das nicht unbedingt sein muss. Aber ein paar „Globuli können nicht schaden“.  Oder wir sprechen auch von „ganz natürliche Hausmittel“.[1]

 

Egal ob es eine Wirkung einzelner Produkte gibt oder nicht, es sollte auf alle Fälle darüber nachgeradacht werden, was die mentale Wirkung anbelangt. Durch die magisch wirkenden Zuckerkügelchen bestärken wir nicht die eigenen Kräfte mit Verhalten und Emotionen klar zu kommen. Im Gegenteil zeigen sie ein Weg, wie man äußere Hilfe erkaufen und an sich anwenden kann. Ein Glücksbringer in der Schule oder ein paar homöopathische Kügelchen mögen nicht schädlich sein im primär-medizinischen Sinn. Sie bieten eine Möglichkeit, die nichts mit unseren persönlichen Stärken und unserer Selbstwirkung, unserem Locus of control   zu tun haben. Man könnte sich dann weiter Fragen wie sich das Mem (im darwinistischen Sinn des Wortes) dann weiterverbreiten möge?

 

Wie viel leichter ist der Sprung von hier zum Kaffee, zum Booster, zum Alkohol zum Nikotin zu Amphetaminen? Wie bereits dargestellt (hier) halten wir die Menschen im Allgemeinen für Antifragil. Eine einzelne Person, die mit genug Ressourcen aufwächst und die das nötige genetische Backup aufweist, ist diesem Dominoeffekt niemals ausgesetzt. Es geht hier um die allgemeine Ausbreitung eines Gedankens und Handlungsgutes im Sinne der Memetik. Es geht, um die allgemeine Sorglosigkeit und Leichtigkeit mit diesem Effekt Handel zu treiben.

 

 

Was das bedeutet:

Der Umgang mit den Emotionen kann und soll erlernt werden! Verhalten und Emotionen sind nicht immer an eine klar ersichtliche Ursache gebunden, die von außen auf uns einwirkt. Sie ist auch nicht bis zum letzten durch innere Götter bestimmt. Sie sind einfach da und es wird von uns auch hier nicht für eine endgültige Kontrolle dieser Emotionen plädiert. Dies alles steht glücklicherweise noch weit außerhalb unserer Macht. Wir müssen uns auf Alle Fälle fragen, wie weit wir die Kontrolle abgeben wollen. An den Mond, an die Götter, an Produkte, an Trainer*innen und Coaches oder an chemische Reaktionen… und egal ob diese Dinge nun auf uns einwirken oder nicht, der Glaube ob sie es tun ist mindestens so entscheidend wie eine schlussendliche objektive „Realität“. Nicht nur im Sinne eines Placebos gedacht, sondern auch im Sinn unserer Lernfähigkeit und unseres Selbstvertrauens.

 

Unser Glaube an die Eigenkontrolle ist eine mächtige Ressource, wenn es um Chronifizierungsrisiken von Krankheiten geht.

Unsere Willenskraft ist eine große Ressource, wenn es um die Bewältigung von Herausforderung im Leben geht.

Unser Glaube an Plastizität unserer Eigenschaften ist eine wichtige Ressource, wenn es um das Erlangen von neuen Fähigkeiten oder Verhalten geht.

 

Was ist nun die Lösung?

Lasst uns lernen Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit zu erleben, zu bejahen, zu begrüßen. Es gibt keine „Hilft es nicht, so schadet es nicht“-Interventionen!


[1] Ein Gedanke der von vielen als Fehlschluss (Fallacy) bezeichnet wird: Alles was von der Natur kommt ist demnach besser, als wenn es „unnatürlich“ ist. Dabei wird übersehen, dass ein paar der stärksten Gifte der Welt wie Botulinumtoxin oder das Gift der Seewespe sind „ganz natürlich“.   Außerdem ist immer die Frage ab wann etwas nicht mehr natürlich ist. Die meiner Meinung schönsten Beschreibungen solcher Denk-Fallen findet sich in Seven Novella's Buch The Skeptics‘ Guide to the Universe

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